Ob Autos, Werkzeuge oder Bücher: Für Carina Breisch ist es völlig normal, Dinge zu mieten oder auszuleihen. «Warum leihen wir uns keine Kleidung?», habe sich Breisch irgendwann gefragt. Als die Stuttgarterin noch in einer Wohngemeinschaft gelebt habe, sei es völlig normal gewesen, sich an den Schränken der Mitbewohnerinnen zu bedienen. So habe sie fast nie etwas Neues gebraucht.
Laut Bundesumweltministerium (BMUV) kaufen die Deutschen im Schnitt sechzig Kleidungsstücke pro Jahr. Durch «Fast Fashion» kämen neue Trends und Kollektionen in immer kürzeren Abständen auf den Markt. Diese sei oftmals billig und ermögliche eine kurzfristige Befriedigung von Konsumwünschen. Dabei werde jedes fünfte Kleidungsstück so gut wie nie getragen. Die weltweite Kleidungsproduktion habe sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. «Alle Anzeichen einer exzessiven, nicht-nachhaltigen Entwicklung sind erfüllt», heißt es auf der Webseite des BMUV.
Leihen von Kleidung ist noch eine Nische
«Slow Fashion» nennt sich das Gegenstück zu dieser Entwicklung. Hier steht Nachhaltigkeit im Vordergrund. Laut einer Ende Juli veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Umweltorganisation Greenpeace ist das Leihen von Kleidung bei kommerziellen Anbietern noch eine Nische. Insgesamt haben nur sieben Prozent der Befragten schon mal Kleidung von einem kommerziellen Anbieter ausgeliehen. Bei den jungen Leuten scheint das Modell jedoch beliebter zu sein. Bei den 18- bis 29-Jährigen Textilien waren es bereits 15 Prozent.
«Ich dachte mir, da muss es doch etwas geben», sagt die Stuttgarterin Breisch. Sie recherchierte im Internet und stieß auf einen dieser kommerziellen Anbieter: die «Kleiderei». Dort können Kundinnen und Kunden ein Abo abschließen und für 29 Euro im Monat vier Kleidungsstücke gleichzeitig ausleihen und sie bei Bedarf gegen neue Stücke tauschen. Läden gibt es in Köln, Freiburg und Berlin. Und bald in Stuttgart, wo Breisch ihre eigene Filiale eröffnet.
Chefin der «Kleiderei» ist Lena Schröder. Seit 2016 betreibt sie ihren Laden in Köln. Ursprünglich hätten zwei Freundinnen die «Kleiderei» als Online-Verleih gegründet, 2018 sei dieser eingestellt worden. Schröder habe die Marke übernommen und sich auf stationäre Läden konzentriert, erzählt sie. Die Läden in Freiburg und bald auch in Stuttgart seien Franchises, also selbstständige Unternehmen, welche die Marke und die Strukturen der «Kleiderei» nutzen – und dafür bezahlen.
Noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich
Schröder, studierte Modedesignerin, habe während des Studiums gemerkt, dass ihr die Textilindustrie insgesamt nicht gefällt und sie diese nicht noch mit ihrer Arbeitskraft unterstützen wolle. Sie betreibe in ihren Läden auch viel Aufklärungsarbeit. Es sei ein Prozess, der noch ein paar Jahre dauern werden, «bis auch die Durchschnitts-Shopperin dafür offen ist, Kleidung zu leihen».
Um Mode wirklich nachhaltiger zu konsumieren, muss laut Schröder bewusster und weniger gekauft werden. Durch das Leihen hätten Kundinnen die Möglichkeit, mehr Abwechslung zu haben. Langfristig müsse der Trend aber dahin gehen, Kleidung lange zu nutzen und ab und zu Stücke zu leihen. «Es muss einfach weniger produziert und konsumiert werden», sagte Schröder.
Das Umweltbundesamt rät im Sinne der Umweltverträglichkeit unter anderem dazu, Kleidungsstücke zu mieten beziehungsweise auszuleihen. Das könne im Bekanntenkreis funktionieren, mittlerweile böten aber auch mehrere Onlineportale Kleidungsstücke zum Mieten an.
Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und Anbieter. So gibt es Anbieter, die ähnlich wie die «Kleiderei» Kleidungsstücke im Abo-Modell verleihen – nur digital statt im Laden. Man kann aber auch einzelne Textilien für bestimmte Anlässe mieten. Ein Hochzeitskleid gibt es so für einen Bruchteil des Neupreises. Über die App eines Anbieters kann man selbst Kleidung vermieten oder von anderen Privatpersonen leihen. Ein anderer Anbieter bietet Pakete mit mehreren Kleidungsstücken an, die sich gut miteinander kombinieren lassen. Auch Luxushandtaschen lassen sich per Abonnement mieten und regelmäßig austauschen.
Vom Produzenten zum Dienstleister
«Modemarken müssen von Produzenten zu Dienstleistern werden», fordert die Konsumexpertin von Greenpeace, Viola Wohlgemuth. Neue Textilien müssten grundsätzlich langlebig und reparierbar sein, doch vor allem müssten Reparatur-, Miet- und Tauschdienstleistungen sowie Secondhand-Mode ebenfalls angeboten werden und zum neuen Standard werden. Wohlgemuth begrüßt Leihmodelle, «weil sie den Alltagskonsum nachhaltiger machen». Das Bedürfnis, etwas Neues zu tragen, könne auch so befriedigt werden. Das nachhaltigste Kleidungsstück sei immer eines, das nicht neu hergestellt werden müsse.
Die mittelständischen Mode- und Bekleidungsmarken stünden für Qualität, Werthaltigkeit und gute Passform, teilt eine Sprecherin des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie mit. Damit lägen sie im Trend, wenn es um Kleidung geht, die lange hält, repariert werden kann oder in Kreisläufe geht. Miet- und Leihsysteme bei Berufsbekleidung seien wichtige Geschäftsmodelle deutscher Textilunternehmen.
Der klassische Einzelhandel habe das Modell, Waren zu verkaufen, sagt ein Sprecher des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren (BTE). «Der Handel macht das, was der Kunde will.» Das Leihen sei ein interessantes Modell und wenn das zu einem Trend wird, dann werde der Handel dem folgen. Aber: Kleidung sei eine klassische Verschleißware, die sich nicht immer reparieren lasse. Und manche Waren wollten die Kunden auch einfach neu kaufen. «Die wollen nicht die Unterhose von ihrem Nachbar tragen.»